Ist das eigentlich ganz normales Karate?
Die meisten Leute haben ein ziemlich genaues Bild von dem, was Karate ist oder sein kann. Sie verbinden meist genau zwei Tätigkeiten mit Karate, nämlich schlagen und treten – und das ist sicher nicht unberechtigt angesichts der einseitigen Berichterstattung in den Medien und der überragenden Verbreitung des bekannten Sportkarate. Allerdings ist Karate nicht gleich Karate, genauso wenig, wie man behaupten könnte, dass ein Auto dem anderen gleicht.
Betrachten wir zunächst die Autos und schauen uns einige Extreme an: Da hätten wir z. B. einen Reisebus und einen LKW oder eine Luxuslimousine und einen Formel-1-Rennwagen. Worin unterscheiden sich diese nun? Und wichtiger, warum tun sie das? Ok, die Unterschiede sind relativ offensichtlich und müssen hier wohl nicht näher beschrieben werden. Die Frage nach dem Warum ist allerdings von entscheidender Bedeutung, auch wenn die Antwort soooooo simpel ist. Unsere Autos unterscheiden sich, weil sie für verschiedene Zwecke entwickelt wurden.
So weit so gut. Was hat das nun mit Karate zu tun? Sehr viel, denn im Laufe der Zeit haben sich Sinn und Zweck des Karate entscheidend verändert. Lange Zeit waren Karate und seine Vorläufer im Wesentlichen dazu da, um sich gegen bedrohliche Angriffe zur Wehr setzen zu können. Zu Beginn des 20. Jh. änderte sich dies mit der Einführung des Karate in das okinawanische/japanische Schulsystem. Von nun an diente Karate im Wesentlichen der körperlichen Ertüchtigung und als Methode, Schüler militärisch zu drillen, um sie möglichst früh auf ihren Wehrdienst vorzubereiten. So kam es, dass aus der einst zu Selbstverteidigungszwecken entwickelten Kampfkunst ein wettkampforientierter Sport wurde, der nun ohne Beziehung zu seinen Wurzeln in die westliche Welt und somit auch nach Deutschland exportiert wurde.
Wie sich der aufmerksame Leser schon denken wird, distanzieren wir uns ausdrücklich von solchen Trainingsmethoden, eben weil wir nicht an Wettkämpfen oder militärischem Drill interessiert sind. Für uns bedeutet Karate zivile Selbstverteidigung, das heißt, wir beschäftigen uns mit der Abwehr von Angriffen, die einen Kampf unvermeidlich machen. Uns interessieren keine Konfrontationen, die von beiden Seiten gewollt sind, wie dies im Wettkampf der Fall ist, oder solche, deren Ursache in einem übersteigerten Ego zu suchen ist.
Damit ist auch angedeutet, dass Karate nicht nur aus Schlägen und Tritten bestehen kann, denn Angriffe, die einen zum Handeln zwingen, wie zum Beispiel Würgeangriffe, Umklammerungen, Haare ziehen oder der klassische Schwitzkasten, lassen Tritte und Schläge nur in begrenztem Maße zu. Zum Karate gehören auch Würfe, Festhalten, Hebel etc., die eingesetzt werden, um allgemeine anatomische Schwächen des menschlichen Körpers auszunutzen.
Zurück zur ursprünglichen Frage. Ist nun Koryû Uchinâdi ganz normales Karate? Ja, gemessen an dem, was Karate vor der Einführung in das okinawanische/japanische Schulsystem darstellte und nein, gemessen am heutigen “Durchschnittskarate”, das im Wesentlichen nicht mehr (aber auch nicht weniger!) als ein herausfordernder und reglementierter Sport ist.
Um noch einem Trugschluss vorzubeugen: Wir sind uns des Dô (道)-Aspektes, der unserer Übung inhärent ist, durchaus bewusst. Er ist untrennbar mit KampfKUNST verbunden, erhält aber Notwendigkeit und seinen dialektischen Charakter erst in einer KAMPFkunst.
Alle Klarheiten beseitigt?
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